7.9.05

2. Lebensqualität

90 000 Fr. im Jahr: davon geht mir schon einmal die monatliche Hilflosenentschädigung (ca.1700 Fr.) weg. Zuerst rechnete ich damit, dass ich die Sozialversicherungen (IV, AHV, Pensionskasse) und weitere Versicherungen wie Betriebsunfall selber übernehmen muss. Daher budgetierte ich mit etwa 20% Abzügen; im Nachhinein sagte mir der Zuständige vom Amt für Zusatzleistungen, dass sie diese Kosten übernehmen werden. Da sie mir aber das Geld erst im Nachhinein vergüten werden, bedeutet das für mich, dass ich stets in einem finanziellen Engpass bin.

Wenn man meine Kosten für Assistenz mit jenen für einen Heimplatz (20 000 - 30 000 Fr. im Monat) vergleicht, kann gesagt werden: Durch meine nun schon achtjährige Weigerung in ein Heim zu gehen, habe ich der IV etwa 3 Mio. Franken eingespart. Soweit zum Finanziellen. Was für mich aber viel entscheidender war, war die unglaubliche Erhöhung meiner Lebensqualität.

Wie viel Lebensqualität hat ein Heimbewohner? Gar keine, absolut keine!
Konkret heisst das: in einem Heim bekommt man nur Assistenz für Körperpflege (Aufstehen, Darm- und Blasenentleerung, Körperreinigung und zu Bett gehen). Bei allen anderen Tätigkeiten - für die manche Behinderte ebenfalls Assistenz benötigten - bekommt der oder die Behinderte im Heim keine Unterstützung. Ihr oder sein Leben besteht aus: Aufstehen, Duschen, Pissen, Scheissen, Anziehen, in den Rollstuhl transferieren, Frühstück einnehmen, Therapie, Mittagessen, Mittagsschläfchen, nochmals Krankengymnastik, ab und zu noch ein bisschen Spielgruppe und vielleicht ein bisschen Psychotherapie, Fernsehen, Nachtessen, zu Bett gehen (um 20 Uhr), Punktum. Und nach Punkt ist gewöhnlich Schluss. Und alles ausgeführt von Personen, die ihm oder ihr eventuell total unangenehm sind. Kein Platz für soziale Kontakte oder gar für die Ausübung eines Jobs und keine Möglichkeit seine Assistenz selbst auszuwählen.

Bei mir sieht das erheblich anders aus: Ich kann meine AssistentInnen selbst auswählen und dort einsetzen, wo ich sie benötige und nicht einfach dort, wo das Heim bestimmt. Dieser Umstand bedeutete für mich eine unsägliche Stärkung des Selbstbewusstseins (welches in meinem spezifischen Fall durch Abschluss eines Universitätsstudiums bereits stark war. Dies erreichte ich als Bedingung, dass ich überhaupt an diesem Assistenzsystem teilgenommen habe, was allerdings nicht die unbedingte Voraussetzung - zukünftig - dafür ist ). Für den Pionier Gisep Buchli war ein gewisser Grad an Selbstvertrauen mit Sicherheit notwendig: so musste ich monatelang den Verantwortlichen dieses Kantons e-Mails schreiben und ihnen Feuer unter dem Arsch machen, ihnen meine prekäre Situation beschreiben und Sie darauf hinweisen, dass schon vor mehr als einem Jahr eine parlamentarische Entscheidung gefallen war.

6 Kommentare:

Anonymous Anonym sagte...

Guten tag

Ich staune nur noch: 90'000.-- pro Jahr. Zieht man die Hilflosenentschädigung (die ich nicht in Anspruch nehmen kann) von 20'400.-- ab, sind das immer noch 69'600.--. Und das ist ziemlich exakt das Doppelte von dem, mit dem ich pro Jahr auskommen muss. IV-Vollrente und Ergänzungsleistungen zusammen ergeben bei mir den Betrag von 34'548.-- pro Jahr. Damit muss ich alles bezahlen: Miete und Mietnebenkosten, Krankenkassen-Prämie, AHV/IV-Prämie, alle anderen Versicherungen, Telefon, und auch der gesamte Lebensunterhalt. Ausgang, kulturelle Veranstaltungen und Reisen liegen da nicht mehr drin. Ich hocke denn auch oft wochenlange allein zu Hause, weil ich bereits bei Restaurantbesuch überlegen muss, ob ich mir ein Getränk noch leisten kann.

Selbstverständlich gönne ich Ihnen das Geld; Ich frage mich nur: Wie kommt es zu so massiven Unterschieden? Und: Was mache ich möglicherweise falsch? Ich verstehe die Welt nicht mehr.

Herzliche Grüsse
FEW things

(Bitte haben Sie Verständnis dafür, wenn ich anonym bleiben möchte).

12/10/05 08:28  
Anonymous Anonym sagte...

Was bringt es, wenn zu diesem Thema der einzige Kommentar und entsprechende Fragen unbeantwortet bleiben. Ein Blog muss nicht eine Einbahnstrasse sein...

Herzliche Grüsse
Few things

25/10/05 01:32  
Anonymous Anonym sagte...

Lieber Few Things

Soweit ich weiss, gibt es verschiedene Arten von Ergänzungsleistungen: Zum einen sollen Ergänzungsleistungen den Lebensunterhalt sicherstellen. Zum anderen gibt es Ergänzungsleistungen, um (zusätzliche) Krankheits- und Behinderungskosten zu bezahlen. Diese 90.000, von denen hier erzählt wird, gehören zur zweiten Gruppe. Wer zum Beispiel Hilfe braucht, um sich anzuziehen oder zu duschen, der bekommt seit neustem Geld, um selbst jemanden dafür anzustellen.

Gruss
Ronja

25/10/05 16:52  
Blogger Gisep sagte...

Liebe Alle

Für meine verspätete Reaktion auf eure Kommentare möchte ich mich ganz herzlich entschuldigen.
Die Bemerkungen von FEW things waren allerdings keine Fragen, sondern vielmehr neidische Aussagen. Trotzdem möchte ich dazu Stellung nehmen:
Wie ich im obigen Beitrag zu sagen versucht habe, erhalte ich nicht etwa monatlich das Geld, und kann damit machen, was ich will, sondern kann damit – wie es der Name „Assistenzflick“ (AF) bereits ausdrückt – dringend benötigte Assistenz einkaufen. Den Betrag bekomme ich auf mein Konto, erst nachdem ich die Einsätze ausgewiesen habe (monatlich muss ich einen Einsatzrapport der geleisteten Assistenz einschicken). Von der fraglichen Summe sehe ich keinen einzigen Rappen in meinem Sack, sondern muss alles an die Assistierende zahlen. Rein finanziell ging es mir vor dem AF besser als jetzt. Auch mir geht es – finanziell - nicht viel besser als FEW things.
Um FEW things eine Empfehlung geben zu können, müsste ich sie/ihn natürlich kennen. Auch kann ich so nicht beurteilen, was sie/ er möglicherweise falsch macht und sagen, wieso sie/er in einem solchen finanziellen Engpass ist. Aber so viel ich weiss, ist der AF auch für psychisch Behinderte – DIE AUF ASSISTENZ ANGEWIESEN SIND – gedacht. Wenn nicht der AF, dann sicher das Pilotprojekt von FAssiS. Somit empfehle ich ihr/ ihm dringend, sich auf der Homepage der FAssiS zu erkundigen (www.fassis.net). Auf jeden Fall muss ich jeder und jedem versichern, dass man weder mit dem AF noch mit der FAssiS reich wird!

Gisep

28/10/05 00:29  
Anonymous Anonym sagte...

Lieber Gisep Buchli

Nein nein, von "neidischen" Aussagen meinerseits kann keine Rede sein.

Mittlerweile weiss ich auch, dass es sich bei den aufgeführten 90'000.-- Franken um das jährliche Krankenkosten-Budget handelt. Nur, davon steht in Ihrem Beitrag nichts, so dass ich davon ausgegangen bin, es handle sich um die Summe der IV-Rente zusammen mit den Ergänzungsleistungen. Selbst das würde ich Ihnen gönnen. Sie können nicht immer davon ausgehen, dass selbst Deppen wie ich auf Anhieb erkennen, um welche Summe es sich handelt. Manchmal ist es gut, wenn man etwas klarer definiert, was gemeint ist.

Jedoch: Mir zu unterstellen, ich sei "neidisch" dürfen Sie nicht. Im Gegenteil bin ich nämlich einer, der Ihren Mut anerkennt und der Meinung ist, man dürfe gerade Sie als Vorbild ein bisschen hochhalten. Sie haben hart gekämpft für ein selbstbestimmtes Leben. Und auf die Erfolge, die Sie verbuchen können, dürfen nicht nur Sie, sondern alle Behinderten stolz sein. Und ich bin sogar der Meinung, dass auch ihre IV-Rente durchaus aufgestockt werden dürfte, damit Sie nicht nur materiell, sondern auch menschlich und sozial ein anständiges und gleichberechtigtes Leben führen könnten.

Mit freundlichen Grüssen
FEW things

PS. Üblicherweise dutzt man sich im Internet generell. Wenn ich hier trotzdem die Höflichkeitsform wähle und Sie mit Sie anrede, soll das Ausdruck meiner Hochachtung Ihnen gegenüber sein.

1/11/05 00:06  
Anonymous Anonym sagte...

Neidisch sollte man wirklich nicht sein. Ich kann da nur den Hut ziehen.

Gruß Ralf
private Altersvorsorge Vergleich

8/3/08 16:44  

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