18.6.11

84. Aus der Welt der Psychopharmaka

Ich hatte schon seit längerer Zeit erhebliche gesundheitliche Probleme und entschied mich wieder für einen Aufenthalt in der Klinik Nottwil. Von Nottwil erwartete ich, dass sie mir meine Medikamente genauer kontrollieren und mir eventuell neue dazu verschreiben würden. Doch dieses Mal wurde mir der Aufenthalt in Nottwil zur reinsten Qual. Es wurden mir in der Tat eine Menge neuer Medikamente verschrieben, darunter drei Neurolpetika, die ich auf gar keinen Fall einnehmen kann: Dipiperon, Seroquel, Clopixol. Zum Glück merkte ich dies bei der Rückkehr nach Hause, sonst würde ich sie immer noch einnehmen, denn was ich da alles einnehme wurde mir nicht erläutert. Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, wieso mir Neuroleptika, die normalerweise in der Akutpsychiatrie ihre Anwendung finden, verschrieben wurden.
Laut Patienteninformation werden Störungen des Denkens, Fühlens oder Handelns mit solchen Medikamenten behandelt, namentlich Psychosen, Verwirrungszustände, Halluzinationen und Aggressivität. Diese Symptome treffen bei mir keineswegs zu, ausserdem sind die Nebenwirkungen dermassen schwerwiegend, dass sie meine körperlichen Einbussen höchstens verstärken.

2.3.11

83. Kindisches Verhalten

Die Suche nach geeigneten Assistenten kann mühsam sein. Auch jene Erfahrung, die ich letzthin machte, bestätigt diese Tatsache sehr deutlich.

Nach zahlreichen E-Mails hatte ich mit einer Bewerberin einen Vorstellungstermin vereinbart. Als der Tag gekommen war, schrieb sie mir kurzfristig, sie könne heute nicht kommen, da ihre Mutter gestorben sei. Verständnisvoll nahm ich dies zur Kenntnis und schrieb ihr, dass mir das sehr leid tue und ich für ihre Lage natürlich Verständnis habe. Ich teilte ihr mit, sie solle sich doch einfach später melden, wenn sie sich wieder besser fühle. Zu meinem Erstaunen meldete sie sich schon nach wenigen Tagen. Wir vereinbarten also erneut einen Termin. Diesmal kam sie und hinterliess einen recht guten Eindruck.

Es schien, als wäre sie eine zuverlässige und patente Person. Wir vereinbarten, dass sie noch ein zweites Mal kommen solle, um bei einer Schicht zuzusehen und sich mit dem Lift vertraut zu machen. Per E-Mail vereinbarte sie mit einer anderen Assistentin einen Einsatztermin, bei dem die Assistentin etwas später dazukäme. Die Bewerberin war bereits auf dem neuen März-Plan eingetragen, da sie schon fest zugesagt hatte. Zu ihrem ersten Einsatz erschien sie aber nicht. Als die Assistentin um 19 Uhr kam, probierten wir, sie anzurufen. Sie nahm aber nicht ab. Also probierte ich es noch drei weitere Male. Wieder nichts. Daraufhin schrieben wir ein E-Mail. Ich teilte ihr mit, dass unter den gegebenen Umständen kein Arbeitsverhältnis zustande kommen kann. Und auch auf dieses E-Mail erfolgte keine Antwort.

Ich kann beim besten Willen nicht begreifen, wie man sich so benehmen kann. Es ist eine sehr primitive, für eine erwachsene Frau total unwürdige Art sich zu verhalten. Es wäre doch nur menschlich gewesen, wenn sie mir gesagt hätte, sie könne oder wolle die Arbeit nicht annehmen. Dazu müsste sie nicht einmal Gründe angeben, sondern mir einfach die Fakten auf den Tisch legen. Zum selbstbestimmten Leben gehört es - leider - dazu, sich mit solchen Kindereien herumschlagen zu müssen.

1.11.10

82. Solidarität unter Behinderten

Letzten Samstag habe ich deutlich erkennen müssen, dass die Solidarität unter Behinderten nicht grösser ist als diejenige unter Nichtbehinderten. Wieso sollte dies auch anders sein? Selbstverständlich ist mir bewusst, dass ich - und all jene mit einer sichtbaren Behinderung - bei der anstehenden IV-Revision kaum von grösseren Einschränkungen betroffen sein werden. Die Tatsache aber, dass fast 20.000 Menschen in der Schweiz auf direktem Wege in die Armut, sie werden nämlich zu Sozialfällen, geschoben werden, war der Hauptgrund für meine Teilnahme an der Solidaritätskundgebung in Bern. Der Umstand, dass nur etwa 2000 Menschen anwesend waren, zeigt deutlich, wie ignorant und egoistisch auch Behinderte sind.

Was mich an der anstehenden 6. IV-Revision stört, ist - wie schon bei der 5. IV-Revision - die vorgebliche Scheininvalidenbekämpfung. Falls es zutrifft, dass gewisse Einzelfälle eine Behinderung nur simulieren, um eine Rente zu bekommen, so bin ich sehr daran interessiert, dass dies aufhört und diese Leute zur Rechenschaft gezogen werden. Wie jeder zugeben wird, handelt es sich dabei um eine kleine Minderheit, einen kleinen Prozentsatz. Was soll aber mit der Mehrheit passieren, z.B. mit Schleudertrauma-Patienten, welche ganz sicher keine Simulanten sind? Auch bei den psychisch Behinderten interessiert mich die Mehrheit der wirklich Behinderten, bei denen die Rente aufgehoben wird, und nicht die wenigen angeblichen Scheininvaliden.

19.10.10

81. Siebenstündige Qual

Heute kann ich wieder einmal klagend betonen, wie schwierig es ist, mit Assistenz zu leben. Bevor die Spitex am Samstagmorgen meine Wohnung verliess, bat ich – da ich nicht so gut geschlafen hatte – mich auf den Bauch zu drehen. Ich sagte: „In einer Stunde kommt mein Assistent. Der holt mich dann aus dem Bett.“ Die Stunde verging. Meine Lage wurde unbequem. Der Assistent kam aber nicht. Weder um 10 noch um 11 Uhr. Er kam auch nicht um 12 oder später. Er kam überhaupt nicht. Die Situation wurde immer mehr zur Tortur, je länger ich in dieser schmerzhaften Lage ausharren musste. Denn ich war so weit nach oben gerutscht, dass ich mich weder umdrehen noch die Decke vom Körper wegnehmen konnte. Inzwischen war mir auch extrem heiss. Die Folter dauerte insgesamt sieben Stunden, da die zweite Assistenz-Schicht erst um 16 Uhr begann. Vor lauter Aufregung und Verzweiflung hatte ich Durchfall bekommen. Bis ich gereinigt im Rollstuhl sass, war es 17 Uhr 30. Schlimm, was? Zum Kotzen!

Kaum hatte ich mich am nächsten Tag von diesem Schlamassel erholt, kam schon die nächste böse Überraschung auf mich zu. Auch am Sonntag wollte und wollte der Assistent – diesmal ein anderer – nicht erscheinen. Er kam mit ganzen drei Stunden Verspätung, entschuldigte sich aufrichtig in aller Form und versicherte mir, dass dies nicht mehr vorkommen würde: Er habe dummerweise verschlafen… Was sollte ich machen? Ich musste es hinnehmen und erzählte ihm die Geschichte, die mir am Tag vorher passiert war.

Mit diesem Erfahrungsbericht möchte ich aber niemanden von der Assistenz-Idee abbringen, sondern im Gegenteil darauf hinweisen, dass man solchen Situationen eben vorbeugen muss. Meine Konsequenz ist, dass ich mir so bald wie möglich ein Notruf-System anschaffen werde. Damit kann ich dann beim nächsten Notfall per Knopfdruck die Spitex alarmieren. Oder kann mir ein Leser oder eine Leserin meines Blogs einen anderen Tipp geben?

Feststeht dass solche Geschichten nicht mehr vorkommen dürfen. Die Situation am Samstag war für mich nicht ungefährlich. Die Frage, ob ein Heim die bequemere Alternative wäre, stellt sich für mich aber nicht. In einem Behindertenheim lernt man nämlich vor allem Verantwortung abgeben, vor sich hin vegetieren, sterben. Und da ich das nicht will, ziehe ich das selbstbestimmte Leben, d.h. in meinem Fall: mit persönlicher Assistenz und den entsprechenden Risiken, tausendmal vor. Denn persönliche Assistenz bedeutet: LEBEN.

11.10.10

80. Zu behindert für das EBGB

In diesem Herbst bewarb ich mich auf eine Praktikumsstelle des „Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung“ in Bern – trotz des perversen Namens. Das Praktikum im Bereich Interne Kommunikation war seit dem Sommer auf dieser Homepage ausgeschrieben. Ich reagierte auf die Annonce, denn schon vor einigen Jahren hatte ich mich nach Abschluss meines Studiums auf eine feste Stelle beim EBGB beworben. Damals wurde ich abgelehnt mit der Begründung, ich hätte zu wenig praktische Erfahrung. Das Praktikum sollte mir dazu verhelfen. Ich machte mir ernsthafte Hoffnungen darauf, schliesslich hatte ich in der Zwischenzeit die verschiedensten kommunikativen Tätigkeiten ausgeübt.

Doch ich war wohl zu naiv – und zu behindert für das „Eidgenössische Büro für usw.“, denn im Absagebrief hiess es: „Leider wird es uns auch diesmal nicht möglich sein; Ihnen diese Einstiegsmöglichkeit in die Bundesverwaltung anzubieten. Die Praktika für Hochschulabsolventen werden durch Globalkredite der Bundesverwaltung finanziert. Die Verwaltungseinheiten, welche diese Kredite beanspruchen, müssen sicherstellen, dass die Kandidaten gewisse Voraussetzungen erfüllen. Eine dieser Voraussetzungen ist, dass das Praktikum spätestens 1 Jahr nach dem letzten Studienabschluss angetreten wird.“ – Diese Information ist mir neu. Über Globalkredite und dergleichen stand in der Annonce kein Wort.

Für mich sind das lächerliche Ausreden. Ich meine, die gut bezahlten Beamten verweigern mir „diese Einstiegsmöglichkeit in die Bundesverwaltung“, da sie nicht an meine Zukunft – und auch nicht an jene von Behinderten allgemein – glauben. Bei meinem Vorstellungsgespräch habe ich festgestellt, dass die Räume des EBGB nicht einmal behindertengerecht sind. Ich fühle mich durch diese Behörde, die angeblich für die Gleichstellung von Behinderten eintritt, zutiefst diskriminiert. Wohin soll das führen, wenn eine solche Stelle in der Bundesverwaltung Behinderte pauschal ablehnt und dabei genau das Gegenteil behauptet? Ihr Engagement für Behinderte, das man ohnehin mit der Lupe suchen muss, wird auf diese Weise noch unglaubwürdiger. Die ganze Erfahrung mit dem EBGB hat mir wieder einmal deutlich gemacht, dass Behinderte ihre Sache lieber selbst in die Hand nehmen sollten, anstatt auf die Unterstützung irgendwelcher Bundesbeamten zu hoffen.