5.6.08

40. Suche nach AssistInnen und “Duty to Die”

Da ich nach einer Woche immer noch keine Antwort auf meine Annonce erhalten hatte, entschied ich mich jenes Inserat auf zwei weitere Homepages zu stellen. Nämlich auf:
www.gratis-inserate.ch und eine altbewährte www.lilliput.ch.
Darauf erhielt ich sehr bald zahlreiche Bewerbungen: aber leider musste ich feststellen, dass die meisten davon kaum seriös waren. Die erste, die ich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte, kam zur verabredeten Zeit. Eine andere Assistentin öffnete ihr die Türe, begrüsste sie und lud sie in meine Wohnung ein. Die Frau stellte sich vor, erzählte von ihren Fähigkeiten und von ihrer Motivation bei IHM zu arbeiten bzw. “ihm zu helfen”. Alles richtete sie nämlich nicht an mich, sondern unterhielt sich lediglich mit der Assistentin.
Für mich war der Fall schon sehr bald klar: Diese Person, die sehr schlecht die deutsche Sprache beherrschte, kann ich auf gar keinen Fall einstellen. Bei ihrem Weggehen vereinbarte meine Assistentin mit ihr, sie solle mir noch per E-Mail mitteilen, wie sie es mit einer Einstellung sehen und ich werde ihr auch sagen, wie es von meiner Seite aus aussehen würde. Darauf schrieb sie mir schon am nächsten Tag: Sie würde mir gerne helfen. Darauf bedankte ich mich, fügte aber hinzu das ich sie nicht einstellen möchte. Wieso ich dies nicht tun könnte, sagte ich ihr nicht…
Darauf erhielt ich noch ein böses Mail in welchem sie ihr Erstaunen über meine Absage kundtat. Sie fragte mich, ob ich ihren Lebenslauf gelesen hatte, dass sie hervorragende Referenzen hatte und das sie nicht verstehen könne, wieso ich sie nicht einstellen möchte. Sie fügte aber hinzu, dass dies für sie ok wäre (?).
Bei der zweiten erhaltenen Bewerbung, handelte es sich um eine ebenfalls kaum des Deutschen mächtigen Osteuropäerin, die aber einen 100% Assistenten Job und zudem eine Übernachtungsmöglichkeit suchte. Ich teilte ihr mit, dass dies nicht dem entspräche, was ich suchen würde und dass eine Anstellung unter diesen Umständen nicht in Frage käme. Sie schien das gut zu begreifen und verabschiedete sich.

Der dritte Bewerber:
Beim dritten Vorstellungsgespräch handelte es sich um einen jungen Mann, der sich um einen Nebenjob als Pfleger interessierte. Wir hatten abgemacht um 14.00h, er kam jedoch 4.5 Stunden zu früh. Ich versicherte ihm, das dies ein Problem wäre, er könnte aber trotzdem reinkommen, sich vorstellen und Fragen stellen. Auf mich machte er anfänglich einen sehr guten Eindruck. Seine Biografie war tipptopp er stellte gute Fragen. Seine letzte Frage betraf den Steuerlohn: Wie viel würde er bei mir verdienen? Ich beantwortete ihm diese Frage und versicherte ihm, dass alle Abzüge inbegriffen wären. Darauf fragte er, ob diese Abzüge unbedingt nötig wären? Diese Frage bejahte ich und fügte die Gegenfrage hinzu, ob er denn schwarz bei mir arbeiten möchte, ich wolle und könne nämlich dies niemals machen; es sei ja auch zu seinem Wohlwollen. Dieses Argument kommentierte er nur mit einem knappen “jaja, dass ist schon ok”. Darauf schaute er nervös auf die Uhr und meinte, er müsse telefonieren, er verlasse rasch meine Wohnung, würde aber nach Beendigung des Telefonats wieder kommen. Doch er kam nie mehr…
Dieses freche Erlebnis interpretierte ich sofort als zwar typischen, doch einen äusserst unangenehmen Vorfall der Assistenzsuche.
Die Suche geht also weiter: morgen und nächste Woche habe ich erneut zwei Vorstellungsgespräche.

Mittlerweile hat sich ein vierter Bewerber vorgestellt und ist bereits zu einem Schnuppertag gekommen. Er macht einen sehr guten Eindruck. Ich hab mich jedoch noch nicht entscheiden können, ob es zu einer Anstellung kommen wird oder nicht. Das grösste Problem ist in meinen Augen die Tatsache, dass er nicht gerade um die Ecke wohnt. Ausserdem habe ich von einem Angestellten vernommen, dass er - durch mündliche Propaganda, wahrscheinliche die beste die es gibt - eine Kollegin, die sich für eine Anstellung bei mir interessiert, ausfindig gemacht hat. Nächste Woche will er sie mitnehmen.

Noch ein anderes Thema (Diskussion sehr erwünscht):
Gerne möchte ich mit Euch noch ein Thema diskutieren, mit dem ich mich momentan beschäftige. Nämlich mit einer Frage, die hauptsächlich - so viel ich weiss - in den USA öffentlich thematisiert wird und uns Behinderten sehr beschäftigen sollte. Es ist die Frage nach der Pflicht zu sterben (Is there a duty to die?). Die Frage kann beim besten Willen nicht verneint werden: sterben muss jeder, ohne Ausnahme, ob er möchte oder nicht. Die Frage ist nur wann und wodurch und was denn überhaupt eine Pflicht ist. Für die meisten Autoren geht es weniger um die Frage des Sterbens - das bekanntlich eine passive Angelegenheit ist - sondern vielmehr um die Frage ob wir eine Pflicht zum aktiven Sterben, also zu töten haben. Und diese Frage ist, so meine ich, ganz klar abzulehnen. Der Tod sollte eine private Angelegenheit bleiben. Die öffentliche Diskussion über ein solch delikates Thema macht mir persönlich Angst und erinnert sehr, zum Teil aufs Wort genau, an die Eugenischen Schriften des letzten und vorletzten Jahrhunderts - beispielsweise 1924: “Das Recht zu leben und die Pflicht zu sterben“ von Josef Popper-Lynkeus.
Geht es doch meistens um utilitaristische Fragestellungen, das heisst: um die Feststellung, dass es günstiger wäre alte, behinderte, nicht mehr aktive Menschen umzubringen, anstatt sie sehr teuer und äusserst aufwendig am leben zu erhalten und durchzufüttern. Die meisten dieser Autoren betonen zwar, dass diese Pflicht nur für Menschen, die ihr Leben lang gelebt haben, gültig sei, betrifft also direkt nur einen Teil der Behinderten. Der Diskurs darüber sollte uns aber beängstigen.
Die Frage nach der Pflicht zu Sterben muss gezwungenermaßen schlussendlich zur Bejahung des Selbstmordes führen. Und auch da ging ein Deutscher Philosoph der Mitte des 19. Jahrhunderts mit zwar fragwürdigem, aber wenigstens konsequentem Exempel voran: Sein Name war Philipp Mainländer. Nach der Veröffentlichung seiner Schrift beging er tatsächlich - noch am gleichen Tag - Selbstmord.

Die Frage an sich ist - so lange sie eben individuell bleibt - keineswegs so dumm. Und sie erinnert mich sehr stark an die Schriften von mittelalterlichen Autoren - beispielsweise vom heldenhaften Hermann - die ohne Unterlass betont haben: Memento Mori, bedenke dass du ein sterblicher Mensch bist.
Der moderne Mensch verdrängt den Todesgedanken soweit, wie es nur geht; So, dass der Tod oder schon die Erinnerung an ihn als eine grausame und schwere Strafe erscheinen muss.

Doch vermutlich ist meine Angst vor einer Überlappung jenes Diskurses auf Europa - oder wenigstens: auf den deutschsprachigen Raum - nicht gerechtfertigt. Es ist anzunehmen, dass schon am Anfang einer solchen Diskussion auf Eugeniker und auf ihre Verkörperung - das Nazi-Reich unter Adolf Hitler - hingewiesen wird. Man muss klar erkennen, dass den Opfern der Nazis nicht nur Juden, Romas und Homosexuelle zu zählen sind, sondern auch - und dies ist kennzeichnend für das Nazi-Reich - Behinderte. Zu den Vätern der Philosophie, die unter Hitler ihre praktische Umsetzung in Deutschland im Unterschied zu anderen Ländern erfuhren (anderswo gab es selbstverständlich auch eine nicht geringe Eugenik), zählten eben Bücher, wie das von Josef Popper-Lynkeus.

DIE DISKUSSION ZU "DUTY TO DIE" FINDET AUF DEM FORUM IN DIESER HOMEPAGE STATT